Kein Bild sagt mehr als tausend Worte

Ein Bekannter postet ein Video auf Facebook. Ich sehe: Während eines Fußballspiels rollt der Ball ins Aus. Der Balljunge schnappt sich den Ball, hält ihn fest, ein Spieler will den Ball zurück. Der Balljunge rückt ihn nicht raus, wirft sich zu Boden, umklammert den Ball. Ich traue meinen Augen nicht. Ist das ein Balljunge oder ein verrückter Fan, der seine Trophäe für sich behalten will? Dann kommt es noch schlimmer: Der Spieler tritt dem am Boden liegenden Jungen in die Magengegend, der lässt den begehrten Ball daraufhin los und der Spieler trottet zurück aufs Spielfeld.

Arschloch!

Sorry, aber ja, das war meine erste Reaktion. Das hätte es dann auch sein können. Doch irgendwie scheint mir die ganze Situation so absurd. Warum umklammerte der Junge den Ball? Was war da eigentlich los?

Schnell den Namen des Spielers in die Suchmaschine eingegeben und schon kann ich die ersten Berichte lesen. Der Junge ist Balljunge und ein Fan der gegnerischen Mannschaft. Und hatte am Vortag bereits via Twitter angekündigt, dass er bei diesem Spiel „Zeit schinden“ wolle. Der Spieler habe gegen den Ball treten wollen. Hat er? Hat er nicht?

Bilder sind weder informativ noch objektiv. Bilder emotionalisieren.

Woher soll ich das wissen? Ich sehe, was man mich sehen machen will. Ich sehe ein Video, in dem eigentlich nichts genau zu erkennen ist. Über dessen Hintergrund und Entstehung ich nichts weiß. Und ich reagiere sofort menschlich, nämlich empört über ein ungerechtes, brutales Verhalten. Das Urteil ist gefällt. Meine moralische Welt ist wieder in Ordnung. Ich kann mich anderen Dingen zuwenden.

Kein Bild, kein Video, keine Grafik sagt mehr als tausend Worte. Bilder emotionalisieren, Bilder scheinen objektiv Zusammenhänge darzustellen. Doch Information und Interpretation erfolgen über die Sprache. Der Spieler beteuerte auch nach seiner Entschuldigung weiterhin, er habe gegen den Ball getreten, nicht in den Bauch des Jungen. Ich weiß nicht, wer recht hat und für mich wird die ganze Angelegenheit dadurch nicht erfreulicher. Ich weiß nur einmal mehr: Auf Bilder ist kein Verlass.

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